Die „gute“ Beziehung, endloses Vertrauen …. und doch Ängste?

29.10.2017 16:46

Überall liest man von der Wichtigkeit der Beziehung zwischen Pferd und Mensch. Dass diese unbedingt gut sein muss, sonst würde uns das Pferd nicht vertrauen. Aber was bedeutet das eigentlich? Wann ist die Beziehung "gut" aus unserer Sicht? Entspricht diese Sicht auch der des Pferdes? Und warum fürchtet sich mein Pferd immer noch vor dem Traktor, obwohl wir doch eine vertrauensvolle Beziehung haben?


Die meisten wünschen sich, dass ihr Pferd zu ihnen kommt auf der Koppel, im Umgang bereitwillig alles mit sich machen lässt, sich überall hin führen und reiten lässt und sich mit uns gemeinsam vor nichts fürchtet. Verhält sich das Pferd so, dann stimmt alles in der Beziehung - oder?


Wie sehen denn innerartliche Pferdebeziehungen aus: abgesehen von einer oftmals starken Beziehung zwischen Stute und Fohlen gibt es auch Pferdefreundschaften, bei denen die Beteiligten scheinbar ohne einander nicht leben können. Es wird herzzerreißend gewiehert, wenn die Freunde getrennt sind, dann ist doch klar, die zwei müssen eine tolle Beziehung haben und einander blind vertrauen. Wirklich? Vergessen ängstliche Pferde im Beisein des liebsten Pferdefreundes auf ihre Angst und fürchten sich dann nicht mehr vor dem Traktor? So einfach ist es nämlich nicht. Eine gute Beziehung, auch bei uns Menschen, basiert auf Vertrauen. Wir fühlen uns gut in einer Freundschaft oder Partnerschaft, wenn unser Gegenüber uns wohlgesonnen ist und er/sie sich uns gegenüber so verhält, dass wir angenehme Dinge mit seiner/ihrer Anwesenheit verbinden. Dieser Mensch hört uns zu, nimmt uns ernst, verbringt mit uns eine schöne Zeit. Wir würden einem Menschen nicht vertrauen, wenn er uns anschreien, schimpfen oder körperlich maßregeln würde. Genauso empfinden Pferde auch - ihr Vertrauen in uns wächst, wenn wir sie so behandeln, wie wir auch einen lieben Freund behandeln würden. Wenn das Pferd mit uns stets angenehme Dinge verbindet, braucht es kein spezielles "Vertrauenstraining" mehr, das Vertrauen entsteht als erwünschtes Nebenprodukt. Dennoch lassen sich Ängste oft nicht vermeiden. Gerade in Situationen, wo das Pferd Angst hat, ist es ratsam, sehr behutsam vorzugehen und es nicht zu überfordern. Wenn ich panische Angst vorm Fliegen habe und schon beim Betreten des Flugzeugs zögere, würde mich ein guter Freund dann mit allen Mitteln hineinzerren, oder würde er langsam Schritt für Schritt mit mir gehen und mir gut zureden? Die Antwort ist klar, oder?



Pferde sind Fluchttiere und erschrecken leicht. Manche sind besonders sensibel oder verbinden bestimmte Dinge und Situationen mit Angsterlebnissen, sodass es immer wieder zu Angstreaktionen kommt. Viele neigen dazu zu denken, dass das doch lächerlich ist, jetzt kennt mich dieses Pferd schon ewig und müsste mir ja vertrauen, und dann hat es schon wieder in dieser oder jener Situation Angst. Dann taugt ja wohl die Beziehung doch nichts....? Hm, kommen wir auf die Flugangst beim Menschen zurück: die Angst vorm Fliegen verschwindet nicht plötzlich, nur weil ein anderer Mensch bei einem ist, zu dem man eine gute Beziehung hat. Aber seine Anwesenheit kann helfen, die Situation durchzustehen, wenn dieser Mensch empathisch ist und die Angst des anderen weder belächelt noch herabwürdigt. Genauso geht es unseren Pferden mit uns. Auch ihre Ängste lassen sich bei aller Liebe und Vertrauen nicht wegzaubern. Und auch in der Herde gibt es Individuen die öfter und schneller Angstreaktionen zeigen als andere, auch wenn sämtliche Pferdekumpel daneben sind. Angstreaktionen lassen sich auch nicht willentlich steuern, denn Angst ist eine Emotion und kein Verhalten! Deshalb lässt sich Angst auch nicht positiv verstärken, wenn man dem Tier gut zuredet - im Gegenteil, sie wirdvergrößert, wenn man mit Ungeduld oder Zorn reagiert und das Tier für seine Emotion Angst bestraft! Im schlimmsten Fall resigniert das Pferd dann einfach irgendwann und erträgt den Angstreiz, weil es vor der unangenehmen Konsequenz noch mehr Angst hat. Solche Pferde wirken dann meist wie Roboter, die kaum mehr Mimik zeigen und alle Befehle des Menschen emotionslos ausführen... So eine Art "Beziehung" will mit Sicherheit niemand, der Wert auf ECHTES Vertrauen legt.


Wie können wir also unseren Pferden helfen, Ängste zu überwinden? Anti-Schreck-Übungen und gezielte Konfrontationen mit dem Angstauslöser sind grundsätzlich eine gute Sache. Jedoch sollte immer behutsam und im Lerntempo des Pferdes vorgegangen werden, sodass es zu keiner Überforderung kommt und das Pferd sich darauf verlassen kann, dass wir mit ihm aus der Situation gehen, bevor es unerträglich wird.


Fazit: Die gute Pferd-Mensch-Beziehung ist im Idealfall einer Freundschaft unter Menschen ähnlich! Und zwar basierend auf angenehmen Erlebnissen, Empathie, Geduld und Verständnis für das Wesen des anderen. Dann lassen sich auch Ängste besser durchstehen und bewältigen.