Es gibt auf alles ein Ja, aber! - Kontroverse Diskussionsthemen zum Pferdetraining

15.10.2016 14:28

Als +V Trainer, also als jemand, der mit positiver Verstärkung arbeitet und sowohl Druckstufen als auch Strafe im Pferdetraining ablehnt, kommen einem immer wieder dieselben Fragen und Behauptungen zu Ohren. Hier ein Versuch, diese zusammenfassend zu beantworten bzw. zu erwidern.

 

Pferde kommunizieren über Körpersprache, also ist es doch viel natürlicher, die Pferdesprache zu lernen und Pferde so zu trainieren!

Ja, aber ich als Mensch kann niemals die Körpersprache eines Pferdes imitieren, dazu fehlen mir wesentliche Sinnesorgane und Körperteile. Pferde können selbstverständlich unsere Körpersprache deuten lernen. Und das ist dann genauso „natürlich“ wie andere Trainingsmethoden.

 

Für Pferde ist es natürlich, Druck auszuweichen!

Ja, aber was sind denn das für Situationen, in denen sie natürlicherweise Druck ausweichen? Wenn ein Raubtier angreift, wenn ein ranghöheres Pferd Ressourcen beansprucht, und allgemein in Konfliktsituationen. Hm, ich will kein Raubtier für mein Pferd sein, es gibt keine Ressourcen um die ich mit dem Pferd konkurriere (wie Futter, Wasser, Sexualpartner), und mein Training soll nicht auf Konfliktsituationen basieren. Also ja, Druck zu weichen ist natürlich, aber als Trainingsbestandteil brauche ich ihn nicht wirklich.

 

Ganz ohne Druck kann man doch nicht arbeiten! Die Reiterhilfen alleine sind ja schon Druck!

Ja, aber alle Hilfen und Signale kann ich dem Pferd auch ohne Drucksteigerung und ohne Schmerzreize beibringen. Wenn meine Hand oder mein Bein den Pferdekörper nur berührt, ist das grundsätzlich nichts Aversives (es sei denn, das Pferd hat vorab schlechte Erfahrungen gemacht). Bringe ich dem Pferd mittels positiver Verstärkung bei, diesen „Druck“ als Aufforderung zum Weichen oder Losgehen zu verstehen, ohne dass es jemals unangenehm wird, ist der Druck ein rein positiv besetztes Signal.

 

Das Pferd muss doch auch mal was aushalten, dann zeigt es halt Stresssignale, ist doch nicht so schlimm, ein bisschen Stress hat noch keinem geschadet!

Ja, aber muss das wirklich sein? Wir haben zum großen Teil ja keine Arbeitspferde, die sich für unseren Lebensunterhalt anstrengen müssen. Unsere Pferde sind unser Hobby, unsere Freizeitbeschäftigung. Es ist wirklich paradox, ihnen Stress zuzumuten, während wir eine schöne Zeit verbringen wollen. Klar kann es vorkommen, dass dem Pferd irgendwas Stress bereitet, aber dann liegt es an mir als Besitzer, der für sein Wohl verantwortlich ist, dem entgegenzuwirken. Denn womit hat das Pferd den Stress denn „verdient“? Nur dass wir unser Ding durchziehen können? Viele Freizeitreiter orientieren sich an Pferdemenschen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie professionelle Trainer und Leute, die mit Pferdeshows ihr Geld verdienen. Leider sieht man auch da oft massiv gestresste Pferde. Dabei sollten gerade Profis mit gutem Beispiel vorangehen. Deshalb lieber genau hinschauen ob die eine oder andere Performance wirklich im Sinne des Pferdes ist.

 

Man kann doch nicht alles durchgehen lassen! Manchmal muss Strafe sein!

Ja, aber zu welchem Preis? Unter „Strafe“ verstehen die meisten einen Klaps oder ein lautes Schimpfen. Eine Strafe soll unerwünschtes Verhalten unterbinden - das heißt, damit die Strafe auch effektiv ist, müsste die Art der Strafe so gewählt werden, dass das Pferd das Verhalten unter keinen Umständen wiederholen möchte. Tja, dann müsste man wohl ziemlich feste Hindreschen, und das will auch keiner. Die meisten klapsen und schimpfen dann „halbherzig“ (aus Sicht des Pferdes), was zur Folge hat, dass das Pferd das unerwünschte Verhalten trotzdem immer wieder zeigen wird. Außerdem zeigt Strafe dem Pferd nur, was es NICHT tun soll und sorgt für Frust und im schlimmsten Fall Angst.

 

Und was machst du, wenn ein Pferd aggressiv beißt/tritt/dich angeht? Das kann man doch nicht ignorieren?

Ja, aber es gibt einen Unterschied zwischen Training und Ausnahmesituation. Wenn ein Pferd aggressiv wird und ich nicht ausweichen kann, würde ich selbstverständlich mein Leib und Leben verteidigen. Aber das wäre dann eine akute Notsituation, in der nicht mehr trainiert, sondern deeskaliert wird, und ich würde mit dem Pferd so nicht mehr weiterarbeiten, sondern das Trainingsumfeld so gestalten, dass ich nicht in Gefahr geraten kann. Aggressivität entsteht durch Angst und Frust, und meistens hat das Pferd gelernt, dass es mit Aggressivität „durchkommt“, es ist also eine Lebensbewältigungsstrategie. Einem aggressiven Pferd mit Aggression und Gewalt zu begegnen, macht alles nur noch viel schlimmer!

 

Pferde sind untereinander auch nicht nett, und sie müssen Menschen respektieren lernen!

Ja, aber ich bin kein Pferd. Ich habe kein Recht, gewalttätig zu sein, nur weil Pferde das untereinander auch so machen. In der Herde geht es außerdem um ganz andere Dinge als beim Training mit dem Menschen. Und unter „Respekt“ verstehen wir eine Art Ehrerbietung und Wertschätzung uns gegenüber, den wir WIE einfordern wollen? Durch Ausübung von Druck oder körperlichen Züchtigungsmaßnahmen? Von echtem Respekt kann dann wohl kaum die Rede sein. Respekt ist in dem Zusammenhang eigentlich höfliches Verhalten uns gegenüber, und das kann wunderbar mit positiver Verstärkung trainiert werden.

 

Operante Konditionierung? Ich konditioniere nicht, ich kommuniziere!

Ja, aber diese Kommunikation ist auch Konditionierung ;-). Konditionieren ist nichts anderes als Lernen, es findet immer und überall statt. Auch wir Menschen sind auf so viele Dinge konditioniert, z.B. können bestimmte Gerüche oder Geräusche bestimmte Gefühle auslösen, das geschieht ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wenn also das Pferd lernt, auf unsere Körpersprache zu reagieren, ist das genauso konditioniertes (also gelerntes) Verhalten wie ein Verhalten, das es ausführt wenn ich das mit dem Clicker trainierte Signal dafür gebe.

 

Der Behaviorismus ist doch total überholt! Das Hirn ist keine Skinnerbox!

Ja, aber die grundlegenden Elemente des Behaviorismus sind bei allen Lebewesen gleich. Alle Spezies reagieren gleich auf klassische und operante Konditionierung, alle Lebewesen werden durch Motivatoren zu Verhalten angeregt. Alle Lebewesen vermeiden Verhalten, das unangenehme Konsequenzen hat und zeigen Verhalten öfter, das angenehme Konsequenzen hat. Diese grundlegenden Fakten der Verhaltensbiologie treffen auf Hund, Katze, Pferd, Hühner, Würmer, ja sogar auf Pflanzen und Pilze zu! Bei Tieren spielen natürlich noch andere Dinge eine Rolle wie z.B. die kognitive Leistungsfähigkeit, eigenmotiviertes Verhalten (intrinsische Motivation) und Verhalten durch Nachahmung. Lernmechanismen und Lernmethoden sind aber an und für sich universell anwendbar!