Alles positiv, oder was?

16.10.2015 13:10

Hier ein ganz persönlicher Erfahrungbericht zum Thema Pferdetraining mit positiver Verstärkung, und wie ich dazu gekommen bin.

 

Wie so viele andere Pferdemenschen wollte ich immer nur das Beste für mein Pferd. Meine Stute habe ich aus einem Schulbetrieb gekauft, unter anderem weil ich ihr ihren eigenen Menschen geben wollte, und die Möglichkeit, richtig "aufzublühen". Und ich machte viele Kurse, nahm Reitstunden, gab sie in Beritt, longierte sie und machte Bodenarbeit. Bei all diesen Dingen war ich stets der Überzeugung, positiv (im Sinne von "freundlich und angenehm") mit meinem Pferd umzugehen. Naja, wenn sie frech war gabs auch mal eins auf die Nase, und wenn sie sich sonstwie widersetzte kam mir auch mal ein Brüller aus. Man kann ja nicht alles durchgehen lassen. Auch Bodenarbeit à la "Natural Horsemanship" stand bei uns auf dem Programm. Ein paar Basics konnten wir, und für mich war immer klar dass ein Pferd auf Druck weichen muss. Anfangs musste ich das meiner Stute recht deutlich "sagen", aber dann wusste sie Bescheid. Und sie war so brav und fein! Schade fand ich zwar, dass sie mir nie entgegenkam wenn ich sie von der Koppel holte, und dass sie auch sonst im Umgang recht passiv-zurückhaltend war bzw. oft "grantig" wirkte. Aber ich sagte mir, sie sei halt so. Ist ihr Charakter, und außerdem der Schulbetrieb damals usw... Ja, ich hinterfragte das nicht weiter.

 

Ich hinterfragte es nicht weiter - bis mein Jungspund kam. Mein erstes selbstgezogenes Fohlen! Die ersten drei Jahre ließ ich ihn mehr oder weniger Pferd sein, er wuchs in einer Burschengruppe in der Herde auf, und zwischendurch lernte er ein Halfter zu tragen, sich (halbwegs) am Strick führen zu lassen und später auch das Anbinden und Putzen am Putzplatz. Als er drei war zogen wir in einen neuen Stall, und da wollte ich dann "richtig" mit ihm zu arbeiten beginnen. Bald stand ich aber an. Mein Jungspund war zwar neugierig und lieb, aber er überholte ständig beim Führen, drängelte, schnappte spielerisch nach mir und schien mich oft kaum zu beachten. Bei der Bodenarbeit war ich komplett ratlos, denn er wich keinerlei Druck aus. Schwingende Seile, zischende Peitschen und Gerten, menschliche Körpersprache, nichts brachte ihn zum Weichen. Er klebte an mir dran und fand alles total spaßig. Ich hatte den Eindruck, dass er einfach keinen Respekt vor mir hatte. Aber war es wirklich ein Respektproblem? Und kann man das ohne Druck lösen? Ich war skepitsch. Da er erst reagierte, wenn der Druck massiv hochgefahren wurde, und sich dadurch sein Gesichtsausdruck so veränderte wie ich ihn nicht haben wollte, entschied ich mich, einen anderen Weg zu gehen.

 

Ich begann, mich intensiv mit positiver Verstärkung zu beschäftigen, las viele Bücher, kaufte DVDs, suchte Rat in Internetforen und nahm Trainingsstunden mit meinem Pferd. Nebenbei lernte ich auch viel über die andere Seite, also das Training mit negativer Verstärkung und Strafe. Was es genau mit diesen Begriffen auf sich hat, könnt ihr hier nachlesen. Im Prinzip läuft jegliches konventionelles Pferdetraining über negative Verstärkung, von der klassischen Bodenarbeit bis zu den Zügel- und Schenkelhilfen, alles ist drauf ausgelegt dass das Pferd Druck weichen muss. Die einen brauchen bzw. machen mehr Druck, die anderen weniger, aber es bleibt negative Verstärkung. Auch wenn das Pferd nur mehr auf die kleinsten feinsten Zeichen reagiert, das Pferd lernt, auf die Hilfe zu reagieren, weil sonst negative Konsequenzen drohen, da dann der Druck verstärkt wird bis das Pferd richtig reagiert. Ich musste erkennen, dass ich mit meiner Stute eben nicht positiv im Sinne von "angenehm" umgegangen war.

 

Jetzt hieß es umdenken. Pferdetraining mit positiver Verstärkung bedeutet stets sich zu fragen, wie ich dafür sorgen kann, dass mein Pferd möglichst immer Erfolgserlebnisse hat, ohne "Fehler" zu korrigieren. Dies bedeutet jedoch nicht, alles durchgehen zu lassen und ständig nur Kekse ins Pferd zu stopfen. Diese Art Training ist wesentlich komplexer und erfordert vor allem zwei Dinge: Zeit und Geduld. Für jemanden, der den Umgang mit Pferden sowie das Reiten auf konventionelle Weise gelernt hat, ist es nicht leicht, von heute auf morgen alles umzustellen. Besonders wenn man ein Pferd hat, das auf herkömmliche Weise ausgebildet wurde, fällt man selber leider immer wieder leicht in die alten Muster.

 

Ich bin aber der Meinung, dass nicht jeder Druck per se schlecht ist. Gerade wenns ums Reiten geht, können Schenken- und Zügelhilfen einem Pferd auch auf angenehme Weise beigebracht werden - nicht umsonst heißt es "Hilfe". Eine Reiterhilfe sollte also etwas sein, das dem Pferd hilft, zu verstehen was der Mensch möchte, und es nicht zu etwas zwingen. Aufpassen sollte man nur beim Vermischen von Umgangsformen. "Natural Horsemanship" netter zu gestalten indem man Leckerli hinterherstopft, wenn das Pferd dem Druck gewichen ist, führt langfristig dazu, dass eine Methode die andere abschwächt! Grob gesagt wird dabei im Laufe der Zeit der Druck immer weniger schlimm empfunden und das Leckerli immer weniger gut.

 

Zurück zu meinen Pferden. Durch konsequente Arbeit mit positiver Verstärkung wurde aus meinem Rüpel-Jungspund ein höflicher Charmeur, der immer freudig zu mir kommt, sich in jeder Lebenslage neben mir führen lässt, auf Stimmsignale die Gangarten wechselt und ganz begeistert bei der gymnastizierenden Bodenarbeit mitmacht. Natürlich klappt nicht immer alles perfekt, und manchmal müssen wir auch Dinge wiederholen die schonmal besser geklappt haben, aber ein Pferd ist eben keine Maschine. Meine Stute ist schon etwas älter und braucht daher länger, um schön langsam aus ihrer passiven Haltung herauszukommen. Aber auch sie kommt mir zumindest ein paar Schritte auf der Koppel entgegen, und wenn sie mich dann auch noch anbrummelt weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

 

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich niemanden anprangere oder verteufle, der anders mit Pferden arbeitet. Jeder muss seine eigenen Erfahrungen machen und daraus die für ihn richtigen Erkenntnisse ziehen. Es erfordert viel Kraft, sich darauf einzulassen, etwas kritisch zu hinterfragen von dem man immer überzeugt war. Ich wünsche allen Pferdebesitzerin, dass sie ihren Weg finden.